„In der CDU-Wahlkampfzentrale haben sich die Leute in den Armen gelegen. Das könnte die Wahl entscheiden", bewertete Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung, jenes Foto im Magazin der Süddeutschen Zeitung, das Steinbrücks umstrittene nonverbale Geste als spontan-spielerische Reaktion auf die Frage zeigt: Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen? Die Schüler hingegen sehen Steinbrücks Geste, die nicht nur im Internet für Furore sorgt, eher positiv: „Er steht zu seinen Ecken und Kanten." Oder: „Er zeigt, dass er auch nur ein Mensch ist."
Ob der Stinkefinger des Kanzlerkandidaten oder das mehr als eine Million Mal geklickte Video mit dem Pippi-Langstrumpf-Lied von SPD-Geschäftsführerin Andrea Nahles im Bundestag: Solche Auftritte beeinflussen viel mehr als früher den Wahlkampf, unterstrich der Chefredakteur. Dabei sei meist kaum vorhersehbar, wie sie letztlich wirken. „Es ist völlig unkalkulierbar, wie das Netz darauf reagiert und was es daraus macht", betonte der 53-Jährige.
Das Internet tariere sogar „Oben und Unten" völlig neu aus: „Es ist nicht mehr so einfach für die Mächtigen", lautet anhand der Beispiele Stuttgart 21 und arabischer Frühling eine von Lindners zehn Thesen, mit denen er verdeutlicht, dass sich durch die Dynamik von Twitter, Facebook und Co. die ganze Welt verändert. Jeder könne rund um den Erdball jederzeit mit jedem in Kontakt treten. Smartphones werden dadurch immer mehr „die Nabelschnur zum Leben". „Allein frieren wir. Das Netz hebt das auf."
Die Umwälzungen betreffen alle Lebensbereiche vom Einkauf – viele Einzelhandelsgeschäfte kämpfen ums Überleben – bis zur Liebe: 36 Prozent der Männer zwischen 40 und 69 haben ihre Partnerin online gefunden. Weil das Internet Wissen bündelt und jederzeit verfügbar macht, wird der Brockhaus, die Kathedrale des deutschen Bildungssystems, inzwischen nicht mehr neu aufgelegt. Auch Bibliotheken, CD- und erst recht Schallplattensammlungen werden überflüssig.
Die Gymnasiasten, eine 10. Klasse und die Sozialkunde-Leistungskurse, diskutierten die spannenden Ausführungen des Chefredakteurs rege – und eher nachdenklich. Wie durchsichtig werden wir, wenn wir alles ins Internet laden? Wie groß ist die Gefahr, davon völlig abhängig zu werden?, lauteten beispielsweise zwei Gedanken. Und eine Schülerin stellte klar, dass sie trotz der digitalen Möglichkeiten gar nicht daran denke, auf gedruckte Bücher zu verzichten. Kurt Knaudt