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Channel: Nachrichten aus dem Oeffentlichen Anzeiger Bad Kreuznach
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Prozess um erstochenen Dönerwirt in Bad Kreuznach: Rettungskette bleibt ein Thema

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Die Staatsanwaltschaft wirft dem 39-jährigen Angeklagten Totschlag vor, allerdings mit verminderter Schuldfähigkeit, weil er zum Tatzeitpunkt betrunken war.

Ein Zeuge, der an dem Morgen nur einen Tisch entfernt vom Angeklagten im Lokal saß und den Streit zwischen ihm und dem Wirt vor der Tat beobachtet hatte, erklärte gegenüber Richter Dr. Bruno Kremer: „Der Wirt ist in dem Streit laut geworden." Der Angeklagte habe fast gar nichts gesagt. „Wahrscheinlich auch, weil er so betrunken war", mutmaßte der Zeuge.

Als er gefragt wurde, ob der Angeklagte im Laufe des Streits vom Wirt beleidigt wurde, sagte er zunächst: „Da wurde geflucht. Die haben sich aber auf Türkisch unterhalten, und ich bin Kosovo-Albaner und kein Türke." Richter Kremer hakte dennoch nach: „Kann es nicht sein, dass sie doch etwas verstanden haben?" Als dem Zeugen dann noch Ausdrücke wie „Bastard" und „Verpiss' dich" vom Übersetzer auf Türkisch vorgetragen wurden, lenkte er ein und meinte: „Doch, an diese Wörter kann ich mich erinnern." Das wiederum fanden die Anwälte des Opfers und der Schwester des Verstorbenen als Nebenklägerin „sehr seltsam". „Ich dachte, sie sprechen kein Türkisch", meinte einer der beiden Anwälte. „Wenn man wie ich 20 Jahre lang mit türkischen Freunden unterwegs ist, kennt man solche Ausdrücke irgendwann", rechtfertigte sich der Zeuge.

In jedem Fall habe man dem Angeklagten angesehen, dass er das Lokal gekränkt verlassen habe. Er selbst sei wieder zurück in eine benachbarte Kneipe gegangen, habe Freunden davon erzählt und sei mit diesen auch noch mal zurück zum Dönerlokal gegangen. „Weil wir sicher gehen wollten, dass nicht noch mehr passiert." Als sie kurz davor waren, sei der Angeklagte gerade herausgelaufen – in Richtung Eiermarkt.

Im Lokal selbst habe er den Wirt noch an der Theke lehnend gesehen, im nächsten Moment sei er umgefallen, am Rücken voller Blut. „Da waren Leute, die fit in Erste Hilfe waren. Ich bin rausgegangen, um auf die Polizei zu warten." Die sei schnell da gewesen, nur der Krankenwagen hätte länger gebraucht. Der kam wie am zweiten Prozesstag konstatiert aus Gensingen, da kein Rettungswagen in der Stadt verfügbar war. Auch der Notarzt hatte eine längere Anfahrt, kam aus Bingen, weil der Notarzt in Bad Kreuznach im Einsatz war.

Die Notfallrettungskette wirft Fragen auf. Hätte der Wirt doch eine Überlebenschance gehabt? Die Experten sind sich einig: Sein Kreislauf sei nur durch starke Medikamente zwischenzeitlich stabilisiert worden, die Überlebenschance entsprechend verschwindend gering gewesen. „Ich hatte schon damit gerechnet, dass er den Transport nach Mainz nicht überlebt", bestätigte auch der Hubschrauberarzt, der angefordert worden war und später aus Zeitgründen entschieden hatte, den Wirt doch im Rettungswagen in die Uniklinik zu bringen.

Die Mainzer Gerichtsmedizinerin Dr. Bianca Navarro-Crummenauer, die in dem Prozess als Gutachterin agiert, hinterfragte weiterhin kritisch die Rolle des Diakonie-Krankenhauses als lokales Traumazentrum – weil der Patient dort zwar zwischenzeitlich stabilisiert, aber nicht operiert werden konnte. Dr. Gerd Engers, Chefarzt der Anästhesie und Mitinitiator des Traumazentrums, machte jedoch deutlich: „Was wir an Möglichkeiten hatten, haben wir ausgeschöpft." Es habe sich bei dem Wirt um eine Stichverletzung in Wirbelsäulennähe gehandelt. „Da kann man davon ausgehen, dass auch große Gefäße verletzt wurden." Und das könne man vor Ort gar nicht operieren, weil dafür die Ausstattung fehle. „Dafür hätten wir beispielsweise eine Herz-Lungen-Maschine benötigt, die in einem lokalen Traumazentrum gar nicht vorgesehen ist", betonte Engers.

Der Prozess wird am 7. Oktober fortgesetzt.

Stephan Brust


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