Bad Kreuznach. In Hartungs kleiner Schoko- und Zuckerbäckerei in der historischen Neustadt ist die Weihnachtsbäckerei längst beendet. Die Konditorin Dagmar Hartung bereitet sich in ihrer Backstube schon auf den Jahreswechsel vor. Dort fertigt sie derzeit Glücksschweinchen und Co. an. Im Ladengeschäft ein paar Straßen weiter hat ihr Mann die letzten Nikolausfiguren und Weihnachtsengelchen verkauft. Das Besondere an ihnen: Alles in Dagmar und Lothar Hartungs Bäckerei und Confiserie ist handgemacht und essbar. Von der Praline bis hin zu dem übergroßen Schokoladennikolaus, der mehr als 1,5 Kilo auf die Waage bringt.
Von Denise Bergfeld
Der Konditormeister und seine Frau fabrizieren Kuchen und Törtchen fernab der Massenproduktion. Sie betreiben seit fünf Jahren das kleine Geschäft in der Kurstadt. Zuvor leiteten sie 15 Jahre lang das Café Kiefer am Kornmarkt. "Wir wollten zurück zu unseren Wurzeln, zurück zu dem, was wir ursprünglich gelernt hatten", sagt Lothar Hartung. Das Ehepaar beschloss deshalb, in ein neues und kleineres Geschäft in der Mannheimer Straße 17 zu ziehen, um seine kreativen Kräfte besser ausleben zu können.
"Wir sind bewusst aus dem Trubel herausgezogen", sagt Lothar Hartung. Und das Schöne an ihrem Stadtteil ist nach Ansicht des Konditormeisters: "Wenn die Menschen hierher kommen, werden sie ruhiger, und der Stress fällt von ihnen ab." In ihrem Ladengeschäft kann man sich auch Kaffee servieren lassen und dabei Platz nehmen auf dem barocken Sofa. "Unserem Loriotsofa", sagt Dagmar Hartung und lacht.
Jedes Stück ein Unikat
Die Backstube liegt ein paar Straßen entfernt vom Ladengeschäft in einem unscheinbaren Haus im Erdgeschoss. Dort ist Dagmar Hartungs Reich. Sie und ihr Mann haben sich die Arbeit aufgeteilt. Dagmar entwickelt Ideen, backt und verziert, ihr Mann packt die Leckereien ein und verkauft sie. Wer sich von ihm die vielen Hunderte abfotografierter Torten zeigen lässt, die seine Frau in den vergangenen Jahren gebacken hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Jedes Stück ist Handarbeit, ein Unikat und alle sind aufwendig verziert.
Für eine ihrer Hochzeitstorten hat sie mehr als 500 Blütenblätter geformt, für eine andere Torte einen Gemüsegarten einer Kundin originalgetreu nachgebaut. Sie hat schon Karikaturen nachgebacken, eine Gitarre für einen Heavy-Metal-Fan und einen Autoscooter für einen Schausteller aus süßen Zutaten geformt und verziert. Ein ehemaliger Bademeister bekam von ihr einen Kuchen zur Goldhochzeit in Form eines Schwimmbads serviert und mit seinen Lebensstationen verziert. Ihre Ideen entwickelt die Konditorin meist im Gespräch mit ihren Kunden. An einer aufwendigen Hochzeitstorte arbeitet sie nicht weniger als sechs bis acht Stunden.
Berufswahl nie bereut
Für Weihnachten hatte Dagmar Hartung diesmal nicht nur pausbäckige Engel aus Schokolade und Marzipan erschaffen, sondern auch Nikolausfiguren in Formen gegossen und mit dunkler und weißer Schokolade verziert. Seit sie 15 ist, arbeitet Dagmar Hartung in ihrem Beruf. Heute ist sie 48 Jahre alt und immer noch froh, dass sie sich damals dazu entschlossen hat: "Ich habe es nie bereut." In ihrer Backstube werkelt sie nur allein. Sie sei zu eigensinnig, als dass sie mit jemandem gemeinsam dort arbeiten könnte, gibt die Konditorin zu.
Ihr Mann Lothar nennt es nicht Backstube, er nennt es das "Atelier" seiner Frau. Dort entwickelte sie auch vier verschiedene Bad-Kreuznach-Pralinen: eine Cauer-Praline mit Ingwer, ein "Fäustchen" verziert mit Blattgold (weil Magister Faust versucht haben soll, Gold herzustellen), eine Michel-Mort-Praline und eine "Naheforelle" mit Weißwein und Thymian versetzt.
Kleine Kunstwerke
Egal ob Pralinen, Kuchen oder Torten: Jedes Stück ist ein kleines Kunstwerk. Von ihren Kreationen können die beiden heute leben. "Wir sind zufrieden", sagt Dagmar Hartung und fügt hinzu: "Wir wollen keine Millionen verdienen." Wichtiger ist es für sie, mit ihren Händen zu arbeiten.
Jede Figur, die sie formt, wie die kleinen Schokoengel, unterscheidet sich in Nuancen von den anderen. Ein Engel schaut etwas schelmisch zur Seite, ein anderer richtet den Blick stur geradeaus. "In der Zeit, in der ich in die Lehre ging, musste alles gleich sein", sagt die Konditorin. Heute hat sie sich bewusst davon distanziert: "Es ist doch schön, wenn es kleine Unterschiede und Spielereien gibt."