Johannes Bückler, der Enkel eines Scharfrichters aus Merzweiler bei Lauterecken, der seine berufliche Laufbahn als Gehilfe eines Scharfrichters in Bärenbach begann, ließ am 21. November 1803 sein Leben unter der Hand eines Mainzer Scharfrichters.
Auch Rehborn, der Heimatort des Schinderhannes-Experten Rainer Thielen, war von seinen weit mehr als 100 Verbrechen nicht verschont geblieben. Am 20. Februar 1802 erpresste Johannes Bückler Jakob Schweitzer, den fünfmaligen Urgroßvater Thielens. Schweitzer hatte mehrere Fuhrochsen verkauft, was Schinderhannes nicht verborgen blieb. Mit drei weiteren Komplizen erschien er in der Nacht kurz nach 1 Uhr. Das Gewehr vorgehalten, stellte er sich vor: „Ich bin de Schinnerhannes! Wenn Du das Geld nit in de nägschd Verdelstunn ohn die Glonbrigg bringschd, setzt ich der de rore Hohn uffs Dach.“ Was blieb Schweitzer anderes übrig?
Was wohl Jakob Schweitzer dachte, als am Montag, 21. November 1803, einem nebligen, nassen Spätherbsttag, fünf Leiterwagen am Nachmittag gegen 13 Uhr Schinderhannes und 19 Komplizen unter starkem, militärischem Schutz zur Richtstätte brachten? Rainer Thielens Recherchen ergeben folgenden Ablauf: Katholische und protestantische Geistliche begleiteten die zum Tode Verurteilten zur Guillotine auf einer Anhöhe bei Mainz-Weisenau. In einem Bericht heißt es: „Zu Wasser und zu Land, zu Pferde und zu Fuß, in Wägen und auf Karren strömte seit zwei Tagen die Menge aus einem Umkreise von zwölf Stunden herbei.“
Der Richtplatz quoll über. Stundenlang mussten die Zuschauer warten. Über die Hälfte der Schaulustigen gehörte „zum weichen, zärtlichen Geschlechte, von denen sogar ein großer Teil die Metzelei von 20 Menschen ohne sonderliche Anfälle von Weichheit mit ansehen konnte“.
Der Schinderhannes stieg demnach ohne Unterstützung leicht und schnell die 14 Stufen zum schwarz verkleideten Schafott hinauf. Die Balken leuchteten in rotem Anstrich. Gefasst, ohne sein Gesicht zu verändern, betrachtete Johannes Bückler einige Augenblicke das circa 80 Pfund schwere Beil und fragte, ob es wirklich so schnell gehe, wie man sage. Als der Henker dies bestätigte, bat Schinderhannes, sich selbst „zurechtmachen zu dürfen“. Dieses Ansinnen schlug der Henker ihm ab. „Ich sterbe gerecht. Aber zehn von meinen Kameraden verlieren das Leben unschuldig“, lauteten die letzten Worte des Schinderhannes. Dann ließ er sich binden und aufs Brett schnallen.
Beil mit Blut überschüttet
Das dreieckige Messer glitt herab, und der Kopf des Räuberhauptmanns fiel durch einen roten, ledernen Sack ohne Boden in einen verdeckten Raum unterhalb des Schafotts. Der tote Körper verschwand ebenfalls in der Versenkung. Die neben der Hinrichtungsstätte gestapelten Särge und das von Blut triefende Beil ließen die übrigen Verurteilten zu Bildsäulen erstarren. Mehrere mussten ohnmächtig zur Guillotine getragen, andere mit Gewalt hinaufgezerrt werden. Augenzeugen berichten, dass die Henkersknechte während der Exekution Blut mit einem Becher auffingen, und einige der Schaulustigen davon tranken. Nach einem alten Aberglauben galt das Blut hingerichteter Verbrecher als sicheres Mittel gegen Epilepsie. Das ganze Trauerspiel im Mainzer Stadtteil Weisenau dauerte nur exakt 26 Minuten.
Ungefähr 150 Schritte vom Schafott entfernt arbeitete die „Medizinische Privatgesellschaft zu Mainz“, eine Gruppe von Ärzten, Medizinstudenten und einem Physiker um den Mainzer Chemiker Prof. Nicolaus Molitor, in einer als Versuchslabor eigens errichteten Holzhütte. In einem Raum nahmen sie galvanische, im anderen elektrische Versuche vor.
Wissenschaftliche Experimente
Zwei Studenten hielten sich während der Exekution unter dem Schafott bereit. Sie warteten auf die herunterfallenden Köpfe, um Experimente auszuführen, ob noch Bewusstsein und Empfindung vorhanden seien. Bei Schinderhannes und dem „Schwarzen Jonas“ machten sie folgenden Versuch: Einer der beiden Studenten nahm den vom Schafott heruntergefallenen Kopf in beide Hände. Als die zwei Männer sahen, dass er nicht die geringste Zuckung im Gesicht noch an den halb geschlossenen Augen äußerte, schrie ihm mal der eine, dann der andere Student ins Ohr: „Hörst du mich!? Hörst du mich!?“ Die beiden Männer bemerkten jedoch nicht die geringsten Bewegungen an den Augen, noch sonstige Zeichen am Kopf, die das Vernehmen der zugerufenen Worte ausgedrückt hätten.
Vier Minuten nach der Hinrichtung kam der erste Körper in die provisorische Hütte. Das Experimentier- und Beobachtungsspiel begann mit dem Anlegen von Zink- und Kupferpolen an den verschiedensten Stellen. „Die Muskelfasern zuckten. Gesichtsmuskeln zogen sich zusammen. Die Zähne knirschten.“ Bei einer anderen Leiche wurden Gehirn und Rückenmark galvanisiert. Heftige Zuckungen erschienen im ganzen Muskelsystem. Der auf dem Bauch gestreckt liegende Körper richtete sich durch Anstemmen der Hände auf dem Brett in die Höhe, und die Luft wurde mit einem eigenen, dem röchelnden Atmen ziemlich ähnlichen Geräusch aus den Lungen getrieben.
Ähnliche Experimente führte der angesehene Mainzer Prof. Jakob Fidelis Ackermann in der Mainzer Anatomie durch. Ärzte und Naturforscher, „selbst von dem feinsten Gefühle“, störte es damals nicht, an den Hingerichteten etliche Versuche anzustellen. kd
Weitere Einzelheiten zum Leben des Johannes Bückler sind dem Buch „Neues vom Schinderhannes und seinem Julchen“ zu entnehmen. Infos: Rainer Thielen, Tel. 06753/2769, E-Mail: rainer.thielen@t-online.de