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Vera Lengsfelds Leben im Spitzelstaat

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Ihr Thema: „Ich wollte frei sein – Die Mauer, die Stasi, die Revolution". Das ist auch der Titel ihres 2011 im Herbig-Verlag München erschienen Buchs.

90 Zuhörer waren in die „gute Stube Sobernheims", wie Gastgeberin Elke Bolland den Saal im Obergeschoss des Haupthauses nannte, gekommen. Das Bildungswerk Mainz der Konrad-Adenauer- Stiftung hatte Vera Lengsfeld für die mehrtägige Vortragsreise verpflichtet, bei der sie am Mittwoch auch Station im Kreuznacher Stadtmauer-Gymnasium machte.

Als Moderator fungierte Bernd Krziscik vom CDU-Stadtverband Bad Sobernheims. Ihm, so Krziscik, habe der Schlusssatz des Lengsfeld'schen Buches besonders imponiert: Freiheit und Eigenverantwortung sei das Wichtigste im menschlichen Leben. Dann erteilte er der Bürgerrechtlerin das Wort, die rückblickend klarstellte: „Ich war wie alle DDR-Bürger davon überzeugt, dass die Mauer nicht verschwinden würde. Das war außerhalb jeder Vorstellungskraft."

In ihrer Autobiografie wolle sie „die DDR so zeigen, wie sie wirklich war". Ihr sei die Legendenbildung der vergangenen Jahre „zuwider", erst recht wenn sie an die ehemaligen Machthaber denke, die heute die Fakten verdrehten.

Lengsfeld machte aber auch keinen Hehl daraus, dass sie als Mutter dreier Kinder immer nur so viel Risiko eingehen wollte wie berechenbar und möglich. Dennoch versuchte das DDR-Regime, die 1952 geborene Thüringerin mit Berufs- und Reiseverbot, Hausdurchsuchungen, SED-Parteiausschluss und mehrfachen, stets kurzen Haftstrafen „auf Linie" zu bringen. Das alles erfuhren die Zuhörer, als die Bürgerrechtlerin etwa 45 Minuten aus ihrem Buch las. Mehrfach fällt darin der Name Gregor Gysi, ihr damaliger Familienanwalt. Seine Rolle bezeichnete sie als „unklar", wobei ihre Abneigung gegen den heutigen Linkspartei-Fraktionschef im Bundestag unüberhörbar deutlich zutage trat.

Vera Lengsfeld hob die Rolle der Massendemonstrationen in den letzten DDR-Monaten hervor. Historiker würdigten die Bedeutung dieser Demos, bei denen teilweise drei Viertel der Bewohner kleinerer Städte mitmarschierten, zu wenig, wie sie kritisierte.

Der zweite Teil des Abends gehörte den Zuhörern, die von ihrer Fragemöglichkeit regen Gebrauch machten. Doch just die erste Frage eines älteren Mitbürgers nach ihrer Bespitzelung durch ihren zweiten Ehemann, Knud Wollenberger, wehrte Vera Lengsfeld ab. „Darüber möchte ich nicht sprechen", sagte sie mit erstickter Stimme.

Sie erzählte – sehr zum Amüsement des Publikums – mehrere Anekdoten über die Staatssicherheit und deren informelle Mitarbeiter, die einst alle Friedens- und Bürgerrechtsgruppen unterwandert hätten: „Als wir den Friedenskreis Pankow gründeten, wussten wir nicht, wer Stasispitzel war." Inzwischen wisse man, dass in den Gruppen zeitweise mehr Spitzel saßen als wahre Mitglieder.

Mit dem Abstand von Jahrzehnten klangen die Erzählungen Lengsfelds über DDR, SED, Stasi und Co. zeitweise durchaus wie die Erinnerungen von Schülern bei einem Klassentreffen an ihre Schulzeit: Das Schlechte wird verdrängt, das Kuriose bleibt. Kuriositäten wie das verwanzte Telefon, das ihre Familie gern in Kauf genommen habe – „Hauptsache Telefon ohne die sonst übliche Wartezeit von zehn Jahren". Auch lobte sie den Film „Das Leben der Anderen". Dank des Oscar-prämierten Films sei das Interesse an der Aufarbeitung des Spitzelstaates samt Besuchen von DDR-Gefängnissen stark gestiegen. „Drei Viertel der Schulklassen, die Hohenschönhausen besuchen, kommen aus dem Westen", stellte Lengsfeld unkommentiert in den Raum. Willi Scheer (CDU) lobte am Ende der Diskussion: „Bei Geschichtsunterricht dieser Art bleibt mehr hängen als bei der Lektüre von Büchern." Moderator Bernd Krziscik fand den Abend „eindrucksvoll und bewegend". Martin Köhler


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