Bingen - Seit Thomas Feser am 22. April 2012 als Oberbürgermeister der Stadt Bingen gewählt wurde und sein Amt zum 1. Juni 2012 antrat, ist so manches in Bewegung gekommen in der Stadt am Rhein-Nahe-Eck.
Am Ende eines ereignisreichen Jahres zieht er für sich eine positive Bilanz, und auch in der Öffentlichkeit hat der umtriebige CDU-Politiker sich einiges an Respekt und Anerkennung erworben, seit er sich im Rennen um den Chefsessel auf Burg Klopp gleich im ersten Wahlgang gegen die Mitbewerber Michael Hüttner (SPD) und Stefan Heine (parteilos) durchsetzte.
Eigener Stil, eigene Duftmarken
Alle Unkenrufe, laut denen Feser ein schweres Erbe antrete, nachdem Birgit Collin-Langen fast zwei Amtsperioden lang die Binger Stadtpolitik dominiert hatte, hat der christdemokratische Vollblutpolitiker widerlegt. Aus dem vermeintlich großen Schatten der Vorgängerin trat der neue OB schneller heraus, als es ihm so mancher Skeptiker zugetraut hätte.
Was Thomas Feser an Themen und Problemen binnen zwölf Monaten anpackte, hätte für viel mehr als für ein Jahr gereicht. Dass nicht alles so schnell abgearbeitet werden konnte, wie es angestoßen wurde, liegt in der Natur der Sache, der Politik und der vorgegebenen Mechanismen. Themen wie Hertie, Hotelneubau, die Anbindung des Rhein-Nahe-Ecks oder die Art und Weise der Kulturförderung bleiben Dauerbrenner. Und sie gehören zu den Reizthemen, die durch die nahenden Kommunalwahlen angefeuert werden. Dass Feser im Binger Stadtrat den ganz breiten Konsens genießt, kann man nicht behaupten. Er weiß in der Regel die Kooperationsfraktionen CDU, FWG und FDP hinter sich, während SPD und Grüne die Opposition bilden. Da wird es in den Ratssitzungen auch schon mal deutlich bis ein wenig persönlich. Der OB kann emotional und extrovertiert sein, sieht sich selbst "mehr als Kommunikator denn als Chef im stillen Kämmerlein".
Duftmarken hat der neue Leitwolf auch in der Binger Verwaltung gesetzt. Eines seiner ersten Projekte war eine Neuordnung von Dezernaten und Zuständigkeiten. Für seine Mitarbeiter hat Feser im Bilanzgespräch großes Lob; der neue Bürgermeister Ulrich Mönch (CDU) war sein Wunschkandidat. Die Zukunft der Arbeit in den Räten, Ausschüssen und sonstigen Gremien wird nicht einfacher. Das weiß der 48-jährige Feser genau. Er könnte sich durchaus vorstellen, dass künftig auch neue Namen ohne Parteibuch eine größere Rolle spielen. Man müsse versuchen, wieder mehr die sachbezogene als die parteipolitische Diskussion in den Mittelpunkt zu rücken.
Sein Denken beschränkt sich nicht auf die eigene Partei und die eigene Stadt. Wer wagt, gewinnt: Als gerade erst gekürter OB einer kleinen Stadt schaffte er es, die Spitzen aller von Hertie-Leerständen betroffenen Kommunen zu vereinen, an einen Tisch zu holen und gemeinsam einen öffentlich-politischen Druck aufzubauen, der endlich Bewegung in die Leerstandsmisere brachte.
Stolz auf Hertie-Fortschritte
Darauf ist Thomas Feser sehr stolz - allerdings grämt es ihn ein wenig, dass ausgerechnet die Binger noch immer ungeduldig auf eine Entscheidung bei "ihrem" Hertie warten müssen, während in einigen anderen Kommunen bereits Verkäufe getätigt wurden. Schließlich sei er ja selbst "ein ungeduldiger Typ". Doch der Durchbruch wird kommen, sagt er, die Investorengespräche sind vielversprechend, ebenso wie für ein großes Hotelprojekt am Rheinufer in Nachbarschaft der Autofähre.
In ein furioses Auftaktjahr fiel ein gewaltiger Wermutstropfen. Die finanzielle Krise des Heilig-Geist-Hospitals traf Politiker und Bürger tief. Unzählige Gespräche mit Banken, Ärzten, Stiftungsrat und potenziellen Fusionspartnern wurden und werden geführt. Auch hier zeigt sich Thomas Feser optimistisch. Das traditionsreiche Krankenhaus werde überleben und soll sich am Markt behaupten - auch mit neuen Angeboten als Alleinstellungsmerkmalen.
Hier kommt, wie könnte es in dieser Stadt anders sein, ein ganz besonderer Name ins Spiel: Hildegard von Bingen. Deren Aufnahme in den Kanon der Heiligen und mehr noch die Ernennung zur Kirchenlehrerin war für den Politiker, der tiefe Wurzeln in der katholischen Jugendarbeit und der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft hat, auch persönlich ein tief greifendes Erlebnis. Das in dieser Wertschätzung und Berühmtheit schlummernde Potenzial sei noch längst nicht ausgeschöpft, davon ist Feser überzeugt. Und viele Kritiker hätten diese Bedeutung einfach nicht verstanden. Generell gilt für ihn: "Im Tourismus ist für uns noch Luft nach oben." Dabei müsse man alle Beteiligten mitnehmen - ohne sie durch eine reglementierte Tourismusabgabe zu verprellen. Dies ist einer der neuralgischen Punkte, bei denen Feser und die Kooperationsfraktionen mit der Opposition über Kreuz liegen.
Auf der Agenda stehen noch zahlreiche Themen. Das Programm Aktives Stadtzentrum, das kommunale Gebäudemanagement, die touristische Entwicklung, die "Querschnittsaufgabe" der demografischen Entwicklung schlagen sich auch in Stellenbesetzungen nieder. Die Einwohnerzahl zeigt leicht steigende Tendenz, doch vor allem die Innenstadt ist überaltert. Der große Komplex des Stadtleitbilds soll unter enger Einbeziehung der Arbeitskreise und Bürger weiterentwickelt werden.
Die kommunale Selbstverwaltung schätzt der OB als "ein ganz hohes Gut". Die anhaltend guten Gewerbesteuereinnahmen geben der Stadt einige Möglichkeiten, auf der anderen Seite steht die in den Vorjahren durch Investitionen - allem voran in Zusammenhang mit der furiosen Landesgartenschau 2008 - angewachsene Verschuldung als Mahnung zur Vernunft. Für die Landesregierung hat der CDU-Mann sogar ein Lob: "Bingen ist vom Land in den vergangenen Jahren gut bedient worden."
Erfahrung als Netzwerker
Thomas Feser ist ein "alter Fuchs" in Sachen Politik und ein ausgesprochener Netzwerker. Die Stationen in der Parteiarbeit bis zur Landesgeschäftsführung, in Mandaten und Ämtern bis hin zum Kreisbeigeordneten und Landrats-Stellvertreter, in zahlreichen Gremien prägen und wirken.
Immer wieder wird der gebürtige Ockenheimer, der mit Ehefrau Guida in Bingen-Büdesheim lebt, nach seiner politischen Zukunft gefragt. Und immer sieht er sich als OB von Bingen auf acht Jahre gewählt und in der Pflicht. Aber man soll ja niemals nie sagen.
Rainer Gräff